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Disziplin Vielseitigkeit: Was Du wissen solltest
Veröffentlicht am 4. Oktober 2024
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Dressur, Gelände und Springen – in der anspruchsvollen Disziplin der Vielseitigkeit, auch „Krone der Reiterei“ oder „Königsdisziplin“ genannt, bist Du ein echter Allrounder! Bei diesem Mehrkampf wird es nie langweilig. Entscheidend für den Erfolg bei Vielseitigkeitswettbewerben ist die Kommunikation und das Vertrauen zwischen Reiter:in und Pferd.
Die Vielseitigkeit entwickelte sich um das Jahr 1900, als Gelände- und Querfeldeinprüfungen immer populärer wurden. Erst später kamen die Dressur und das Springreiten als weitere Prüfungen hinzu. Seit dem Jahre 1912 ist die Disziplin mit ihren drei Teilprüfungen auch olympisch. Lange Zeit gehörten zur Geländeprüfung ein Wettkampf auf der Rennbahn und eine längere Wegstrecke mit Hindernissen (insgesamt 55 Kilometer lang), beides wurde jedoch im Jahre 2004 abgeschafft (siehe Beitrag Disziplin Geländereiten). Nur das Hindernisrennen in der Natur über 3.5 Kilometer mit 10 Sprüngen blieb erhalten.
Die Vielseitigkeit wird auch „Concours Complet“ (CC) oder „Eventing“ genannt. Der englische Begriff „Military“ wird heute seltener verwendet, jedoch unterstreicht dieser den Fokus, unter dem sich diese Disziplin entwickelte: Sie fand ihren Ursprung im Militär und galt um die Jahrhundertwende als Prüfung für Soldaten und die Kavallerie. Erst seit dem Jahre 1920 dürfen auch Nicht-Mitglieder des Militärs an Vielseitigkeitswettbewerben teilnehmen und im Jahre 1964 startete die erste Frau bei einem Vielseitigkeitswettkampf. Lana DuPont konnte sich damals bei Olympia in Tokio mit der US-Mannschaft Silber sichern.
Die Vielseitigkeit hat sich im Laufe der Jahre stark verändert, unter anderem die Anzahl und Länge der einzelnen Teildisziplinen (vor allem der Geländeritt, siehe oben) sowie der Fokus auf Sicherheit, da es leider häufig zu schweren und sogar tödlichen Unfällen gekommen ist. Anfang 2000 wurde die Disziplin daher sehr stark angepasst und ihr Fokus auf Ausdauer mit Schwerpunkt Gelände wurde durch den heutigen Mehrkampf mit drei gleichwertigen Teildisziplinen ersetzt.
Bei der Vielseitigkeit steht also die Sicherheit im Vordergrund. Diese entsteht mit der Zeit durch viel Training, einem sicheren und ausbalancierten Sitz sowie der richtigen Ausrüstung.
In der Vielseitigkeit benötigst Du einen Reithelm. Auch im Training solltest Du den Helm nie absetzen, denn er schützt dich vor Erschütterungen und Brüchen, wenn Du vom Pferd fällst (und das kann in der Vielseitigkeit häufig vorkommen). Bei Wettkämpfen solltest Du unbedingt darauf achten, dass der Helm vom Reiterverband deines Landes zugelassen ist und auf die geltenden Sicherheitsstandards geprüft wurde. Der Helm sollte weder zu gross noch zu klein sein und der Kinnriemen sollte immer gestrafft sein, bevor Du auf dein Pferd steigst!
Zudem darf eine Schutzweste nicht fehlen! Sie sollte nah am Körper anliegen und nur hinten etwas länger sein, ohne deine Beweglichkeit einzuschränken. Immer mehr Vielseitigkeitsreiter:innen entscheiden sich für eine Weste mit Airbag. Sie wird mit einer Reissleine am Sattel befestigt und bläst sich bei einem Sturz sofort auf. So schützt sie Wirbelsäule und Brustkorb. Allerdings reicht eine reine Airbag-Weste auf Turnieren nicht aus – hier wird meistens eine normale Hartschalenweste gefordert und die Airbag-Weste kann darüber angezogen werden.
Auch Handschuhe sind je nach Prüfung obligatorisch. Sie schützen die Hände vor Blasen und Verbrennungen und geben zusätzlichen Halt.
Ganz wichtig für die Ausrüstung deines Pferdes ist der Vielseitigkeitssattel. Dank seines flachen Sitzes und kleinen Vorderpauschen wird der Sitz von Reiter:innen nicht eingeklemmt. Ein Halsriemen als Stütze am Sattel kann wertvoll sein, da sich Reiter:innen daran festhalten können, wenn sie aus dem Gleichgewicht kommen sollten. Du kannst die Dressurprüfung aber auch in einem Dressursattel reiten, jedoch ist es nicht obligatorisch. Für die Spring- sowie Geländeprüfung wird ein englischer Sattel vorausgesetzt.
Ausserdem sind Sicherheitsbügel am Sattel zu empfehlen. Diese Art Steigbügel, gibt deinen Fuss bei einem Unfall in die eine oder andere Richtung frei – so kannst Du nicht im Steigbügel hängenbleiben, wenn dein Pferd durchgeht.
Folgendes sollte zudem zur Sicherheitsausrüstung deines Vierbeines gehören (ausser bei der Dressurprüfung):
Generell gilt: In der Vielseitigkeit reicht ein Reithelm nicht aus. Die Ausrüstung wird schnell komplexer (und teurer), denn die Sicherheit von Reiter:in und Tier sollte besonders bei dieser anspruchsvollen Disziplin immer im Vordergrund stehen.
Für eine:n unerfahrene:n Reiter:in oder ein unerfahrenes Pferd ist die Vielseitigkeit nicht geeignet. Nicht umsonst werden sie als „Allrounder“ bezeichnet, denn im Training müssen sie in drei verschiedene Disziplinen geschult werden (siehe Abschnitt „Welche Pferde sind für die Vielseitigkeit geeignet?“). Wie für uns Menschen ist auch für das Pferd das Einstudieren und Praktizieren von verschiedenen Bewegungsabläufen enorm wichtig, denn genauso wie wir stumpfen sie ab, wenn sie immer wieder dieselben Lektionen absolvieren müssen. Das kann dem Pferd mit der Zeit sogar auf die Gesundheit schlagen. Die Dressur (siehe Beitrag Disziplin Dressur) gibt dem Pferd die nötige Gymnastizität – wenn es jedoch den ganzen Tag im Dressurviereck trainiert, kann es schnell unmotiviert werden und es kommt schneller zu Flüchtigkeitsfehlern. Ein Ausritt im Gelände und ein paar Sprünge in der freien Natur oder im Springparcours können es schnell auf andere Gedanken bringen.
Ein wichtiger Bestandteil deines Trainings sollte zudem das Geradeaus-Galoppieren sein – gerade am Berg stärkt es die Rücken- und Kruppenmuskulatur des Tieres. Ein Tierarzt berichtet, dass er Röntgenbilder von Renn- und Vielseitigkeitspferden gesehen hat, deren Dornfortsätze im Rücken nicht optimal zueinanderstanden. Aufgrund des vielen Galopps jedoch war ihr Rücken so stabil und gut trainiert, dass sie keine Schmerzen hatten. Das alles kann ein vielseitiges Training bewirken!
Manche Profis empfehlen auch das Jagdreiten als Training für die Vielseitigkeit – hiermit können sich Pferd und Reiter:in an das Geradeaus-Galoppieren auf längeren Strecken in der Natur gewöhnen. Ausserdem verbessert es die Kraft und Ausdauer des Vierbeiners.
An Geländehindernisse solltest Du dein Pferd langsam heranführen, am besten schrittweise mit einem Führpferd. Insbesondere die Gewöhnung an Wasserhindernisse kann einige Zeit in Anspruch nehmen. Gib dir und deinem Vierbeiner diese Zeit.
Die Sensibilität für die Stangen im Hindernisparcours trainierst Du am besten im Cavaletti-Training (siehe Beitrag Disziplin Springreiten, Disziplin Boden- und Longenarbeit) und Springgymnastik. Mit der Zeit kannst Du versuchen, mit deinem Pferd immer höhere Hindernisse zu bewältigen.
Du siehst also: Das Vielseitigkeitstraining ist sehr abwechslungsreich und hinter allem steht das übergeordnete Ziel, die Kommunikation zwischen dir und deinem Pferd zu verbessern und euch beide mit allen drei Teildisziplinen vertraut zu machen.
Für die Vielseitigkeit muss ein Pferd robust und mutig, kräftig, agil, schnell und ausdauernd sein, um verschiedene Hindernisse ohne Probleme zu überwinden, den Geländeritt zu meistern, und auch bei der Dressurprüfung gut abzuschneiden. So müssen die Tiere auf viele verschiedene Arten und Weisen trainiert und geschult werden, um jede der drei anspruchsvollen Teildisziplinen gut zu bewältigen.
Häufig werden Pferde mit einem hohen Vollblutanteil eingesetzt. Beliebte Rassen sind Oldenburger, Bayerische und Niederländische Warmblüter und Hannoveraner (siehe Pferderassen-Lexikon).
Die Vielseitigkeit besteht aus drei Teilprüfungen:
Am Ende werden die Fehlerpunkte aus allen drei Teilprüfungen addiert. Sieger:in einer Vielseitigkeitsprüfung ist der oder die Teilnehmer:in mit den geringsten Strafpunkten. Natürlich sind die Anforderungen in jeder einzelnen Disziplin etwas geringer als bei einem reinen Dressur- oder Springwettkampf – Pferd und Reiter:in müssen ihre Fähigkeiten schliesslich in drei Teilprüfungen unter Beweis stellen. Vor allem in der Dressur, der ersten Prüfung, gilt es, möglichst wenige Fehlerpunkte zu sammeln, da man diese später nicht mehr wieder gut machen kann. Das unterstreicht den Stellenwert dieser Disziplin im Pferdesport, denn eine gute Dressurausbildung bildet die Grundlage für eine gesunde Reitweise (siehe Beitrag Disziplin Dressur).
Häufig wird eine Vielseitigkeitsprüfung über zwei oder drei Tage ausgetragen (siehe Abschnitt „Welche Klassen gibt es in der Vielseitigkeit?“). Es gibt jedoch auch Events, bei denen Pferd und Reiter:in alle drei Prüfungen an nur einem Tag bewältigen müssen. Normalerweise kommt die Disziplin der Dressur zuerst an die Reihe, manchmal kann jedoch auch das Parcoursspringen dem Geländeritt vorausgehen.
Da der Geländeritt eine besonders hohe Belastung für die Kraft und Ausdauer der Pferde darstellt, gibt es mittlerweile bei vielen Wettbewerben eine Verfassungsprüfung. Hier prüfen Tierärzt:innen die Verfassung der Pferde, die ihnen in Schritt und Trab vorgeführt werden müssen. So können eine Überforderung der Pferde und mögliche Stürze aus Übermüdung ausgeschlossen werden. Zudem wird das Tier auf Verletzungen untersucht. Falls das Pferd bei dieser Prüfung durchfällt, scheidet das Paar aus dem Wettkampf aus.
Wie auch in anderen Disziplinen gibt es in der Vielseitigkeit verschiedene Niveaus oder Klassen, die jeweils je nach Schwierigkeitsgrad mit ein bis vier (CH) / fünf (DE) Sternen bewertet werden.
Die Niveaus in Deutschland sind:
Die Niveaus in der Schweiz sind:
Je nach Klasse nimmt nicht nur die Länge der zurückzulegenden Wegstrecke sowie die Anzahl an Hindernissen zu, sondern auch deren Höhe und Schwierigkeit (siehe weitere Details in unserem Beitrag Disziplin Geländereiten). Alle grossen Wettbewerbe haben CCI 4*-Niveau, da es auf CCI 5*-Niveau nur wenig Konkurrenz gibt.
Jedes Turnier wird entweder als Kurzprüfung (CIC) oder Langprüfung (CCI) ausgeschrieben. Bei einer Langprüfung ist, wie der Name schon sagt, die Geländestrecke deutlich länger und anspruchsvoller. Daher werden Langprüfungen auch über drei Tage hinweg ausgetragen, um Übermüdung bei Pferd und Reiter:in zu vermeiden. Springprüfungen bilden hier immer den Abschluss, damit die Pferde für den Geländeritt noch genügend Kraft haben. Kurzprüfungen finden in der Regel über zwei oder über drei Tag hinweg statt und die Reihenfolge von Springprüfung und Geländeritt kann variieren.
Bei der Geländeprüfung gibt es immer einen direkten, schwierigen Weg und den so genannten „chicken way“ oder alternativen Weg, der meist einfacher und weniger risikoreich ist. Die dadurch verlorene Zeit müssen Reiter:innen duch schnelleres Reiten zwischen den Hindernissen wieder gut machen oder dadurch entstandene Zeitfehler in Kauf nehmen.
Ein Sturz im Gelände bewirkt den sofortigen Ausschluss des Paares vom Wettkampf. Zudem kann dem Paar von der Jury eine gelbe Fahne gezeigt werden, falls das Tier müde oder überfordert wirkt. Eine rote Fahne führt auch zum Ausschluss – zum Wohl von Tier und Reiter:in, um Schlimmeres zu vermeiden. Immer wieder wurde die Vielseitigkeit aufgrund von schweren Stürzen, Verletzungen und sogar Todesfällen in der Öffentlichkeit kritisiert. Auch daher gibt es immer wieder neue Regeln und erhöhte Sicherheitsstandards.
Die Vielseitigkeit ist eine anspruchsvolle und aufgrund von vielen Unfällen häufig kritisierte Disziplin im Pferdesport. Wenn Du dich jedoch gut ausstattest, vorbereitest und ausgiebig trainierst, dann ist es auch eine besonders schöne und intensive Sportart, die dich und dein Pferd in den verschiedensten Situationen testet und herausfordert. Hier kannst Du dein Bestes zeigen! Und das Risiko kann durch verantwortliches Reiten, die Verfassungsprüfung sowie die Einführung der gelben und roten Fahne (siehe Abschnitt „Welche Klassen gibt es in der Vielseitigkeit?“) sowie die richtige Ausrüstung (siehe Abschnitt „Vielseitigkeit – Ausrüstung für dich“ deutlich verringert werden).
Wenn Du mit dieser Disziplin beginnen willst, dann hör dich um, ob es bei den Reitställen in deiner Nähe Trainer:innen für diese Sportart gibt. Dann heisst es: Mutig sein, Geduld haben, trainieren und vielleicht startest du dann ja schon bald bei einem Vielseitigkeitswettkampf! Und auch wenn du nicht unbedingt an Turnieren teilnehmen willst, dann wird dir beim Vielseitigkeits-Training definitiv nie langweilig und die unterschiedlichen Disziplinen und Anforderungen machen dich sicher zu einer (noch) besseren Reiterin bzw. einem (noch) erfahreneren Reiter.
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